Sozialtechniken zur Güterverteilung

Zur Güterverteilung können unterschiedliche Sozialtechniken genutzt werden. Die folgende Abbildung stellt einige von ihnen strukturell dar:

 

Das Tauschen ist eine Beziehung zwischen zwei Individuen, bei der jedes Individuum etwas gibt, was das andere Individuum nimmt. Beim Wirtschaften wird unter Tauschen meist der Äquivalenztausch (auch Äquivalententausch) verstanden, bei dem Eröffnungsgabe und Gegengabe bzw. Erwiderungsgabe den gleichen Wert haben, was in der obigen Abbildung durch gleiche Pfeillängen symbolisiert wird. Daher setzt der Äquivalenztausch eine Bewertung aller Güter voraus.

Das Kaufen gleicht strukturell dem Tauschen, wobei im Gegensatz zu diesem die Gegengabe in Form von Geldeinheiten bzw. Zahlen erfolgt, die den Güterwert symbolisieren. Geld wurde und wird als soziales Konstrukt von Menschen in verschiedenen Formen geschaffen (geschöpft). Da es in der Regel unabhängig von den Gütern geschöpft wird und auch unabhängig von ihnen zirkulieren kann, hat es eine von seiner Konstruktion abhängige Verteilungswirkung, verhält sich also im Austausch nicht neutral. Wesentliche Funktionsweisen und Wirkungen des heute global üblichen Geldsystems werden im Text „Wachstumsabhängigkeit, Naturverbrauch und Umverteilung durch das herrschende Kreditgeldsystem“ beschrieben. Ein mögliches alternatives Geldsystem, das viele Probleme des Kreditgeldes vermeidet, ist das Gleichgewichtsgeld.

Auch das Schenken ähnelt strukturell dem Tauschen. Auf eine Eröffnungsgabe folgt häufig (meist mit zeitlicher Verzögerung) eine Gegengabe. Diese muss nicht aus materiellen Gütern bestehen, sondern kann in Form von Dank, Ansehenserhöhung oder Ähnlichem auch immaterieller Natur sein. Allerdings gibt es auch Formen des Schenkens, die keine (direkte) Gegengabe umfassen (siehe unten) und sich dadurch dann strukturell vom Tauschen und Kaufen unterscheiden.

 

Das Beteilen hat eine andere Struktur als das Tauschen und Kaufen. Beim Beteilen bauen mehrere Menschen durch ihre Tätigkeiten bzw. Eröffnungsgaben einen Vorrat auf, den sie später untereinander aufteilen. Es gibt keine direkten Gegenseitigkeiten zwischen den beteiligten Menschen. Eröffnungsgaben gehen immer in den Vorrat und Gegengaben kommen alleinig aus dem Vorrat.

 

Struktureller Vergleich der Sozialtechniken

Beim Tauschen und Kaufen stehen sich immer genau zwei Akteure alleine gegenüber und sind durch Eröffnungs- und Gegengabe direkt wechselseitig miteinander verbunden. Tauschen und Kaufen setzen also auf Grund ihrer Struktur eine Zweiteilung / Dualität voraus. So polarisiert Tauschen und Kaufen in die zwei Rollen Geber*in und Nehmer*in bzw. Verkäufer*in und Einkäufer*in, zwischen denen die Menschen im Wirtschaftsprozess ständig hin- und herspringen müssen. Eine Wirtschaft, die auf Tausch- oder Kaufprozessen basiert, erfordert daher strukturell die Vereinzelung der Menschen. Natürlich können sich mehrere Menschen zum Ein- oder Verkaufen auch zusammenschließen und gemeinsam eine juristische Person gründen. Spätestens auf dem Markt stehen sie sich dann aber wieder als zwei polare Gruppen gegenüber, die möglicherweise durch das Interesse am Zustandekommen eines Geschäftes verbunden, aber gleichzeitig durch ihre entgegengesetzten monetären Profitinteressen getrennt sind. Tauschen und Kaufen sind also Sozialtechniken, die gleichzeitig verbinden und trennen.

 

Durch Geld werden Verbindung und Trennung beim Kaufen noch stärker ausgeprägt als beim Tauschen. Denn durch die Abstraktion von Geld bzw. Zahlen können viel mehr Menschen miteinander verbunden werden als allein durch den direkten Austausch von Gütern. Gleichzeitig steigert das Zahlen aber auch die Trennung. Denn durch Zahlen wird ein abstraktes vom Leben entkoppeltes Profit- bzw. Gewinnkonzept ermöglicht, bei dem das Hauptziel von Geschäften ist, am Ende mehr Zahlen als vorher zu haben (monetärer Profit). Im Gegensatz zu physischen Dingen können abstrakte Zahlenunterschiede in beliebiger Höhe aufgebaut werden. Durch die Sozialtechnik des Kaufens fokussiert sich das Handeln im Laufe der Zeit immer mehr auf den monetären Profit und drängt die Bedürfnisbefriedigung, die ja der eigentliche Grund fürs Wirtschaften ist, immer stärker in den Hintergrund. Ein System, das den monetären Profit als oberste Zielsetzung hat, führt unweigerlich zur Ausbeutung von Mensch und Natur, was heutzutage gut beobachtet werden kann.

 

Beim Beteilen gibt es keine strukturelle Trennung in zwei Rollen. Alle Akteure haben die gleiche Rolle. Wenn ich durch meine Tätigkeit den Vorrat fülle, mache ich gleichzeitig etwas für mich und die anderen, also für uns. Beteilen ist strukturell verbindend. Daher kann Beteilen als gemeinschaftliche Sozialtechnik fürs Wirtschaften aufgefasst werden. Beteilen ist vermutlich auch die älteste Sozialtechnik zum Wirtschaften.

 

Formen des Beteilens

Beim Beteilen tragen die beteiligten Personen in unterschiedlicher Art und in verschiedenem Maße zur Herstellung der Güter bei, die sie anschließend untereinander aufteilen. Diese Sozialtechnik praktizieren wir noch heute in Haushaltsgemeinschaften, wie Kernfamilien und Wohngemeinschaften. Die Regeln, nach denen beteilt wird, können sehr unterschiedlich sein. Dies soll im Folgenden am Beispiel des Tortenbackens in einer Kernfamilie, bestehend aus Mutter, Vater, Tochter und Sohn, illustriert werden.

Üblicherweise sind wir uns der Sozialtechnik des Beteilens nicht bewusst, sondern wenden sie einfach an. Je nach den beteiligten Menschen wird das Beteilen verschieden gehandhabt. Für unser Tortenbeispiel nehmen wir an, dass sich alle Familienmitglieder an der Herstellung in unterschiedlichem zeitlichem Umfang beteiligt haben:

Die Verteilung der fertiggestellten Torte kann höchst unterschiedlich erfolgen. Im besten Fall tauschen sich die Familienmitglieder über ihre Bedürfnisse hinsichtlich der Torte aus und verteilen die 16 Tortenstücke entsprechend. Im schlechtesten Fall entscheidet die Macht der einzelnen Familienmitglieder darüber, wer wie viele Tortenstücke bekommt. Das Verteilungsergebnis könnte in beiden Fällen folgendermaßen aussehen:

Eine andere Möglichkeit ist die Verteilung nach Köpfen bzw. Gleichverteilung:

Eine weitere Möglichkeit ist die Verteilung nach Beteiligungszeit:

Die folgende Abbildung fasst verschiedene Beteilformen in einer Grafik zusammen:

Durch die Kombination aus einer Beteiligungsform mit einer Verteilungsform entsteht eine spezifische Beteilform. Weitere Beteilformen können gebildet werden, indem eine Beteiligungsform mit einer Kombination aus unterschiedlichen Verteilungsformen verknüpft wird. Dies macht deutlich, dass es eine große Vielfalt von Beteilformen gibt. Jede Menschengruppe, die sich beteilen möchte, kann sich aus diesen Möglichkeiten eine für sie passende Beteilform auswählen. Da Sozialtechniken erlebt werden müssen, um sie fühlen zu können, ist ein experimentelles Vorgehen auf der Suche nach geeigneten Beteilformen empfehlenswert. Nach einem theoretischen Austausch sollte sich die Gruppe entscheiden, welche Beteilform(en) sie ausprobieren möchte. In der Praxis wird sich dann zeigen, ob diese Beteilform für die Gruppe passt oder nicht. Wenn sie nicht passt, kann sie leicht modifiziert oder auch stark geändert werden.

Durch einzelne Menschen, die sich an mehreren Gruppen mit unterschiedlichen Beteilformen beteiligen, können sich verschiedene Gruppen und Beteilformen verbinden. Die Beteilgüter gelangen dann über diese Menschen von einer in die andere Gruppe. Auf diese Art ist eine global vernetzte Wirtschaft denkbar, die ohne Geld auskommt, sehr vielfältig strukturiert und lokal sowie kulturell angepasst ist.

 

Beteilform in der WiRschaft Usinger Land

In der WiRschaft Usinger Land wird versucht, individuelle Selbstbestimmung in Gemeinschaft zu leben. Deswegen schließt sie das Wirtschaften mit direkten Gegenseitigkeiten aus, bei der ein Mensch, der eine (Eröffnungs-)Gabe annimmt, die Pflicht zur Gegengabe hat. Daher scheiden Tauschen und Kaufen als mögliche Sozialtechniken zum Wirtschaften aus. Beim Beteilen kann die individuelle Selbstbestimmung durch Beteiligen nach individuellem Ermessen gewährleistet werden, was in der WiRschaft Usinger Land auch so gehandhabt wird. Bis Ende 2022 wurde nach Köpfen beteilt, also Gleichverteilung praktiziert. Ab 2023 wird die Gleichverteilung nur noch zur Hälfte in Kombination mit dem Beteilen nach Zeit angewendet. Zeitliche Grundlage ist dabei die (subjektiv empfundene) bewusste Anwesenheit in der WiRschaft, also eine Art Tätigkeitszeit, die sich von der herkömmlich verstandenen Arbeitszeit unterscheidet. Diese Zeit kann nach individuellem Ermessen beteilt (Beteilstunden) oder (teilweise) geschenkt (Schenkstunden) werden. Zur Quantifizierung des individuellen Anteils am zu verteilenden Vorrat bzw. Gesamtgruppenergebnis wird ein Beteilindikator (BI) verwendet. Folgende Grafik stellt die aktuelle Beteilform in der WiRschaft Usinger Land dar:

Schenken ohne direkte Erwiderung

Beim Schenken kann die direkte Gegenseitigkeit aufgehoben werden, indem die Gegengabe strukturell verhindert bzw. ausgeschlossen wird. Die folgende Abbildung zeigt dafür mögliche Umsetzungsformen. In der WiRschaft Usinger Land können diese Formen des Schenkens praktisch ausprobiert werden.

Anonymes Beschenken bezeichnet Schenkvorgänge, bei denen die Beschenkten nicht wissen, wer die Schenkenden waren.

Anonymes Schenken bezeichnet Schenkvorgänge, bei denen keiner weiß, wer wen beschenkt hat. Diese Art des Schenkens wird beispielsweise bei öffentlichen Bücherschränken angewendet.

Schenken mit Gruppen-Dank ist eine Form des Schenkens, die wir in der WiRschaft im Zusammenhang mit dem WiR-Wohl anwenden. Dabei beschenken eine oder mehrere Personen direkt eine oder mehrere andere Personen aus der WiRschaft Usinger Land mit ihrer/n Tätigkeit/en. Da wir in der WiRschaft direkte Gegenseitigkeit und damit individuelle Schuld vermeiden möchten, sollten die empfangenden Personen auf ein Gegengeschenk (direkte Gegengabe) verzichten. Sie kommen gegenüber den gebenden Personen auch nicht in Schuld, da diese sich ihren Tätigkeitsaufwand als Beteilstunden aufschreiben können, wodurch ihr Beteilindikator (BI) und damit ihr Anteil am Gesamtgruppenergebnis ansteigt, was wir als Gruppen-Dank bezeichnen. Natürlich ist es nach individueller Entscheidung auch möglich auf den Gruppendank zu verzichten, indem keine Beteilstunden aufgeschrieben werden.

Wenn Menschen machen (können), was sie gerne machen, sind sie glücklich und verschenken ihre Tätigkeitsergebnisse aus einem Fülle-Bewusstsein heraus gerne. Schenken ohne direkte Erwiderung ist dann keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. So wird Fülle für alle Menschen möglich.

 

Beteilen als Transformationspfad vom Kaufen zum Schenken ohne direkte Erwiderung

Wie können wir von der heutigen Gewohnheit des Kaufens zum Schenken ohne direkte Erwiderung und damit vom Mangel- zum Fülle-Bewusstsein kommen? Der Mangel ist dem Kaufen eingeschrieben, denn zum Kaufen und Verkaufen werde ich aus einem Mangelgefühl heraus motiviert. Bei einem Füllegefühl hingegen kann ich Schenken ohne direkte Erwiderung praktizieren.

Vereinzelung bzw. Getrenntheit verursacht Mangelgefühle. Als soziale Wesen spüren wir, dass wir auf andere angewiesen sind, um zu überleben. Wenn wir in sozialen Praktiken der direkten Gegenseitigkeit verharren, können wir die Trennung nicht überwinden. Gemeinschaftlichkeit, Verbundenheit und Geborgenheit können nur durch soziale Praktiken der generalisierten Gegenseitigkeit entstehen. Das Beteilen ist eine uralte Sozialtechnik, mit der sich Menschengruppen gemeinschaftlich versorgen können. Da sie noch heute in Haushaltsgemeinschaften wie Kernfamilien und Wohngemeinschaften (teilweise) praktiziert wird, ist sie vielen von uns aus eigener Erfahrung bekannt.

Beteilen kann allerdings sehr unterschiedlich praktiziert werden. Die Menschen müssen nicht, wie beim Kaufen, demselben Muster folgen. So kann es dem Bewusstsein der beteiligten Menschen entsprechend z. B. patriarchal bzw. beherrschungsgetrieben oder selbstbestimmt und egalitär ausgestaltet werden. Zwischen Beteiligen und (Ver-)Teilen kann es eine starke, schwache oder gar keine Kopplung geben. Ein Beteilsystem mit selbstbestimmter Teilnahmemöglichkeit, das die Grundversorgung der beteiligten Menschen sicherstellt, kann eine Brücke vom Kaufen zum Schenken ohne direkte Erwiderung sein. Es kann als Sozialpraxis zur Güterverteilung in dem Maße wachsen und das Beteilen ersetzen, wie sich Menschen vermehrt über ihr Inneres (spirituell) mit der Welt verbinden können.

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Poster zum Beteilen

Text zum Beteilen als Möglichkeitsraum fürs gemeinschaftliche Wirtschaften

 

Beteilform der WiRschaft spielerisch erfahren

Damit du das Beteilen nach Zeit mit Grundbekommen direkt bei dir vor Ort mit interessierten Menschen ausprobieren kannst, haben wir das Spiel "WiR beteilen uns!" entwickelt.

Hier gibt es das Spielpaket bestehend aus Spielanleitung und Beteiltabelle.